Nachhaltiges Bauelement schafft gutes Raumklima
ETH-Forschende haben einen klimafreundlichen Belag für W?nde und Decken entwickelt, der Feuchtigkeit zwischenspeichert und so für Behaglichkeit in stark genutzten Innenr?umen sorgt. Die Belag-Elemente bestehen aus mineralischen Abfallstoffen und werden mit 3D-Druck hergestellt.
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In Kürze
- ETH-Bauingenieur:innen und Architekt:innen haben ein neues Bauelement entwickelt, mit dem sich R?ume entfeuchten lassen.
- Das Bauelement wird in W?nden und Decken eingesetzt, um die Feuchtigkeit zu binden und tempor?r einzulagern.
- Es wird nachhaltig per 3D-Druck aus wiederverwendeten Materialien hergestellt und kann mechanische Lüftungsanlagen ersetzen.
Sei es das Sitzungszimmer eines Bürogeb?udes, der Ausstellungsraum eines Museums oder der Wartebereich einer Beh?rde: An solchen Orten kommen viele Menschen zusammen, und schnell wird die Luft dick. Das h?ngt unter anderem mit der erh?hten Luftfeuchtigkeit zusammen. Um die R?ume zu entfeuchten und den Raumkomfort zu gew?hrleisten, werden in Büro- und Verwaltungsgeb?uden heute üblicherweise Lüftungsanlagen eingesetzt. Die mechanische Entfeuchtung von R?umen arbeitet zuverl?ssig, kostet aber Energie und tr?gt – abh?ngig vom benutzten Strom – zur Klimabelastung der Atmosph?re bei.
Vor diesem Hintergrund hat ein Team aus Forscherinnen und Forschern der ETH Zürich einen neuen Ansatz zur passiven Entfeuchtung von Innenr?umen untersucht. Passiv bedeutet in diesem Zusammenhang, dass hohe Luftfeuchtigkeit durch W?nde und Decken aufgenommen und dort zwischengespeichert wird. Die Feuchtigkeit wird also nicht durch eine mechanische Lüftungsanlage in die Umgebung abgeführt, sondern in einem hygroskopischen, feuchtigkeitsbindenden Material tempor?r eingelagert und sp?ter, wenn der Raum gelüftet wird, wieder abgegeben. ?Unsere L?sung empfiehlt sich für stark frequentierte R?ume, für die die installierten Lüftungsanlagen ungenügend sind?, sagt Guillaume Habert, Professor für Nachhaltiges Bauen, der das ETH-Forschungsprojekt betreut hat.
Abfallstoff aus dem Marmor-Abbau
Habert und sein Forschungsteam folgten bei der Suche nach einem geeigneten hygroskopischen Material dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Ausgangspunkt sind fein vermahlene Abf?lle aus Marmor-Steinbrüchen. Um aus diesem Pulver feuchtigkeitsbindende Wand- und Deckenelemente zu fertigen, braucht man ein Bindemittel. Diese Aufgabe übernimmt ein sogenannter Geopolymer, eine Materialklasse, die aus Metakaolin (bekannt aus der Porzellanherstellung) und einer alkalischen L?sung (Kaliumsilikat und Wasser) besteht. Die alkalische L?sung aktiviert das Metakaolin und stellt auf dem Weg einen Geopolymer-Binder bereit, mit dem das Marmorpulver zu einem festen Baustoff verbunden wird. Der Geopolymer-Binder ist vergleichbar mit Zement, emittiert bei seiner Herstellung aber weniger CO2.
Im ETH-Projekt gelang es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Prototypen eines 20 x 20 cm grossen und 4 cm dicken Wand- und Deckenelements herzustellen. Die Produktion erfolgte mit 3D-Druck in der Gruppe von Benjamin Dillenburger, Professor für Digitale Bautechnologien. Bei dem Verfahren wird das Marmorpulver schichtenweise aufgetragen und durch den Geopolymer-Binder verklebt (Binder-Jet-Drucktechnologie). ?Mit diesem Verfahren lassen sich Bauteile in einem grossen Formenreichtum effizient herstellen?, sagt Benjamin Dillenburger.
Feuchtigkeitshemmende Bauteile steigern Komfort
Die Kombination von Geopolymer und 3D-Druck zur Herstellung eines Feuchtigkeitsspeichers ist ein innovativer Ansatz des nachhaltigen Bauens. Die Bauphysikerin Magda Posani leitete die Untersuchung der hygroskopischen Eigenschaften des Materials an der ETH Zürich, bevor sie kürzlich als Professorin an die Aalto-Universit?t im finnischen Espoo wechselte. Das Projekt knüpfte an die Doktorarbeiten der Materialwissenschaftlerin Vera Voney, betreut durch die leitende Senior Forscherin Coralie Brumaud, und des Architekten Pietro Odaglia an, die das Material und die 3D-Druckmaschine an der ETH entwickelt haben.
?Wir konnten mit numerischen Simulationen nachweisen, dass die Bauelemente die Luftfeuchtigkeit in stark genutzten Innenr?umen massgeblich reduzieren k?nnen?, fasst Magda Posani das Hauptergebnis des Forschungsprojekts zusammen. Für die Simulation wurde angenommen, in einer ?ffentlichen Bibliothek in Porto, Portugal sei der von 15 Personen genutzte Lesesaal an W?nden und Decke vollst?ndig mit den hygroskopischen Bauelementen ausgekleidet worden. Magda Posani berechnete für den virtuellen Lesesaal, wie oft und wie stark die Luftfeuchtigkeit im Jahresverlauf die Komfortzone, also 40 bis 60 Prozent relative Luftfeuchtigkeit, verletzt hat. Sie errechnete daraus einen Unbehaglichkeits-Index, also eine Zahl, die die Komforteinbusse aufgrund zu hoher oder zu tiefer Luftfeuchtigkeit zum Ausdruck bringt. Wurde der Lesesaal mit den feuchtigkeitsbindenden Elementen ausgestattet, konnte der Unbehaglichkeits-Index um 75 Prozent gesenkt werden gegenüber einer herk?mmlichen Wand mit Farbanstrich. Wurden Elemente verwendet, die 5 statt nur 4 cm dick waren, sank der Unbehaglichkeits-Index sogar um 85 Prozent.
Beim herk?mmlichen 3D-Druck wird ein viskoser Kunststoff schichtweise auf einer Grundplatte aufgetragen. Bei der Herstellung der Wand- und Deckenelemente kommt mit dem Binder-Jet-Printing ein anderes 3D-Druckverfahren zum Einsatz. Hier wird auf der Grundplatte ein Pulverbett aus fein gemahlenem Marmor und Metakoalin angerichtet. Eine bewegliche Düse (Jet) bringt an den gewünschten Stellen eine Kaliumsilikat-L?sung auf, die das Pulver verfestigt. Durch Wiederholung des Vorgangs wird das Bauelement Schicht für Schicht ausgebaut. (Illustration: Vera Voney)
Klimafreundlicher als Lüftungsanlage
Die hygroskopischen Wand- und Deckenelemente sind klimafreundlich, das heisst, sie verursachen über einen 30j?hrigen Lebenszyklus deutlich weniger Treibhausgas-Emissionen als eine Lüftungsanlage, die die Luftqualit?t im gleichen Ausmass entfeuchtet. In den Simulationsrechnungen wurden die Wand- und Deckenelemente auch mit einem Lehmputz verglichen, wie er seit alters verwendet wird und ebenfalls die Luftfeuchtigkeit in Innenr?umen passiv reguliert. Die alte Kulturtechnik erwies sich als klimafreundlicher als die hygroskopischen Bauelemente. Allerdings verfügt der Putz über eine geringere Speicherf?higkeit für Wasserdampf.
Die Arbeiten der ETH belegen, dass aus der Verbindung von Geopolymer und 3D-Druck Wand- und Deckenelemente zur effizienten Pufferung von Feuchtigkeit hergestellt werden k?nnen. Nach diesem Machbarkeitsnachweis ist die Technologie im Prinzip bereit, um weiterentwickelt und auf den industriellen Massstab skaliert zu werden. Parallel dazu l?uft die Forschung weiter. In einem Projekt mit dem Polytechnikum Turin und der Aalto-Universit?t arbeitet die ETH Zürich darauf hin, die Wand- und Deckenelementen mit noch weniger Treibhausgasemissionen herzustellen. Denn klar ist: Will die Schweiz bis im Jahr 2050 das Netto-Null-Ziel erreichen, braucht es Geb?ude, die in Erstellung und Betrieb m?glichst keine Treibhausgasemissionen verursachen.
Literaturhinweis
Posani, M, Voney, V, Odaglia, P, Du, Y, Komkova, A, Brumaud, C, Dillenburger, B, Habert, G. Low-carbon indoor humidity regulation via 3D-printed superhygroscopic building components. Nature Communications, 10. Januar 2025. DOI: externe Seite 10.1038/s41467-024-54944-1.