Diese Falten sind gut für die Umwelt

Eine Architektur-Doktorandin der ETH Zürich hat eine einfache L?sung entwickelt, wie sich Betondecken klimafreundlicher bauen lassen. Dank einer leichten und robusten Form für die Schalung lassen sich viel Beton und Stahl sparen. Die innovative Betonschalung ist wiederverwendbar.

Faltenförmige Gewölbedecke
Diese Gew?lbedecke aus unbewehrtem Beton entstand mit der neuartigen Schalung von Architektur-Doktorandin Lotte Scheder-Bieschin. (Bild: Andrei Jipa / ETH Zürich, BRG)

In Kürze

  • ?Unfold Form? ist eine leichte und mehrfach verwendbare Schalung für Gew?lbebauten aus Beton.
  • Dank ihrer besonderen Geometrie lassen sich gegenüber herk?mmlichen Decken bis zu 60 Prozent Beton und bis zu 90 Prozent Stahl einsparen. Das senkt den CO2-Ausstoss und den Bauabfall.
  • Die faltbare Schalung ist einfach in der Herstellung und im Gebrauch und l?sst sich mühelos transportieren. Sie eignet sich besonders auch für Regionen mit begrenzten Ressourcen.

Kein Baustoff wird weltweit mehr verwendet als Beton. Das Gemisch aus Zement, Wasser, Sand und Kies ist relativ günstig, beliebig formbar und h?lt grossem Druck stand. Bei Zugspannungen hingegen kommt Beton schnell an seine Grenzen. Deshalb wird er mit Stahl verst?rkt, und oft wird unn?tig viel Material verwendet. Das tr?gt zum Klimawandel bei, denn bei der Produktion von Beton und Stahl werden grosse Mengen des Treibhausgases CO2 freigesetzt.

Forschende um ETH-Professor Philippe Block beweisen seit Jahren, dass auch mit weniger Beton und Stahl stabil gebaut werden kann. Die Block Research Group (BRG) hat zum Beispiel gew?lbte Deckenelemente aus Beton entwickelt, welche heute durch das ETH-Spinoff externe Seite Vaulted AG kommerzialisiert werden. Dank ihrer Geometrie sind diese Decken viel dünner als herk?mmliche Betondecken und kommen ohne integrierte Stahlbewehrung aus.

Nachhaltigkeit beginnt schon bei der Schalung

Um diese Gew?lbedecken bauen zu k?nnen, braucht es ein Schalungssystem – also eine Form, in welche der Beton gegossen wird und dadurch seine filigrane Struktur erh?lt. Oft ist diese Form jedoch sperrig und besteht aus Materialien wie Styropor, das aus Erd?l hergestellt wird. Zudem wird die Schalung für aussergew?hnliche Geometrien meistens nur einmal verwendet, und bei ihrer Herstellung entsteht viel Abfall.

?Dadurch geht ein Teil der Nachhaltigkeit leider wieder verloren?, sagt Lotte Scheder-Bieschin. Die Doktorandin aus Blocks Forschungsgruppe hat nun ein faltbares Schalungssystem entwickelt, das bei der Herstellung wenig Ressourcen braucht und wiederverwendet werden kann.

Das Bild zeigt die fertig aufgestellte Schalung von oben.
So sieht die fertig aufgestellte Schalung von oben aus. Sie besteht aus vier einzelnen Teilen, die sich wie ein F?cher entfalten lassen. (Bild: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG)

Massiv weniger Beton und Stahl

?Unfold Form? besteht aus dünnen, flexiblen Sperrholz-Streifen. Sie sind durch Textilscharniere miteinander verbunden und lassen sich wie ein F?cher entfalten. Vier solcher kompakter Teile lassen sich in einem Holzrahmen einfach und schnell zu einer stabilen, zackenf?rmigen Schalung zusammenfügen. Der Beton kann dann direkt auf die Schalung gegossen werden.

Portrait von Lotte Scheder-Bieschin
?Ich suchte nach einer L?sung, wie man nicht nur das finale Bauwerk, sondern auch schon die Schalung klima- und umweltfreundlich bauen kann.?
Portrait von Lotte Scheder-Bieschin
Lotte Scheder-Bieschin

Sobald der Beton ausgeh?rtet ist, l?sst sich die Schalung von unten einfach entfernen, wieder zusammenfalten – und für den n?chsten Einsatz brauchen. Das ganze System für den Prototypen wiegt nur 24 Kilogramm, kann aber bis zu einer Tonne Beton tragen.

?Ich suchte nach einer L?sung, wie man nicht nur für das finale Bauwerk, sondern auch für die Schalung selbst die Geometrie nutzen kann. Und dadurch weniger Material braucht und den ganzen Prozess umweltfreundlicher machen kann?, sagt Scheder-Bieschin. Dank der besonderen Geometrie der Schalung lassen sich bis zu 60 Prozent Beton und bis zu 90 Prozent Bewehrungsstahl einsparen.

?Die Unfold-Form-Schalung l?sst sich ohne Fachwissen oder Hightech produzieren und aufstellen?, betont Scheder-Bieschin. Ihr war es wichtig, dass es ein einfaches und robustes System ist, das sich weltweit und auch mit beschr?nkten Mitteln einsetzen l?sst. Denn bisher werden Betonschalungen für komplexe Formen meist digital gefertigt. ?Das macht es für Entwicklungsl?nder schwierig, mit Beton nachhaltig zu bauen. Und gerade dort ist die Nachfrage nach Neubauten sehr hoch?, erkl?rt die Forscherin.

Die Schalung l?sst sich günstig produzieren. ?Man braucht neben dem Material nur eine Schablone für die Form und ein Heftger?t.? Das Material für den Prototyp kostete insgesamt nur 650 Schweizer Franken.

Die leichten und kompakten Einzelteile lassen sich einfach von Ort zu Ort transportieren. Das ganze System baute Scheder-Bieschin problemlos zusammen, als sie schwanger war. ?Mir war wichtig, dass mein Ansatz so einfach ist, dass es Menschen in jeder Situation mühelos selbst bauen k?nnen?, betont die Doktorandin.

Zackenmuster sorgt für Steifigkeit

Was macht die neuartige Schalung so leicht und dennoch so stabil? Bei der Entwicklung griff Scheder-Bieschin auf ihr Wissen über biegeaktive Tragwerke zurück – ein Thema, mit dem sie sich w?hrend ihres Studiums befasst hatte. Dabei werden elastische Materialien wie zum Beispiel dünne, lange Holzplatten unter Spannung gebogen. Diese Verformung sorgt für Stabilit?t und erm?glicht geschwungene und leichte Konstruktionen.

Bei ?Unfold Form? entscheidend ist auch die zackenf?rmige Anordnung der einzelnen Holzstreifen. ?Diese Riffelung gibt zus?tzliche Festigkeit, ohne das Gesamtgewicht massgeblich zu erh?hen?, sagt die Doktorandin. ?In der Natur kommen solche Riffelungen auch vor, zum Beispiel bei Muscheln.?

Das Riffelung macht nicht nur die Schalung besonders tragf?hig, sondern auch den Beton, der darauf gegossen wird: ?Der Beton nimmt diese Riffelung auf als Rippen. Diese Rippen helfen dabei, Lasten abzutragen.?

Die Kraft liegt in der Kurve

Massgebend bei ihrem System sei aber auch das Zusammenspiel der zackenf?rmig angeordneten Holzstreifen, erkl?rt Scheder-Bieschin und macht ein Beispiel: ?Wenn man einen einzelnen Holzstreifen verbiegt, wird er bei Belastung sehr wabbelig, und es ist schwierig zu kontrollieren, in welche Form er sich biegen wird.? Wenn man hingegen zwei Holzstreifen entlang einer geschwungenen Kante miteinander verbindet, erh?lt man eine viel h?here Steifigkeit. ?Unter Last verformen sich die Holzstreifen minimal und man kann durch die Form dieser Verbindungskurven kontrollieren, welche Endform sie annehmen?, sagt die Wissenschaftlerin. Dieses Konzept gibt es schon l?nger, es heisst Curved-Crease Folding (CCF, übersetzt etwa: Faltung entlang einer Kurve) – und hat seinen Ursprung in der Papierfaltkunst Origami.

Beim Falten geht es immer vom Grossen ins Kleine, das heisst man startet mit einem flachen Element, dass dann durch Falten immer kleiner wird. Das macht das System des Faltens für den Bau wenig geeignet. ?Wenn man zum Beispiel eine gew?lbte Betondecke von zwei auf drei Metern m?chte, müsste die initiale Platte, die gefaltet werden soll, rund drei auf fünf Meter gross sein. Das ist für den Transport natürlich sehr unpraktisch?, sagt Scheder-Bieschin.

Vom Papiermodell zum Betonprototyp

Die Frage, wie man dieses simple, aber intelligente System des CCF sinnvoll für die Architektur nutzen kann, liess die Doktorandin nicht mehr los. Sie experimentierte am Schreibtisch mit Papiermodellen. ?Irgendwann klebte ich die Teile anders zusammen. Und so fand ich ein System, das von einer gestapelten Form ausgeht, die sich auff?chern l?sst – genau wie bei einem F?cher. Und gleichzeitig erh?lt man die gebogene Form.? Ihr Entfaltungssystem nennt Scheder-Bieschin in Anlehnung an das CCF ?Curved-Crease Unfolding (CCU)?.

Die n?chste Herausforderung bestand darin, von einem dünnen Blatt Papier zu einem tragf?higen Material mit einer bestimmten Dicke zu gelangen. Die Doktorandin l?ste diese Knacknuss mit Hilfe von Textilscharnieren.

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Die Entstehung des Prototypen im Schnelldurchlauf (Video: L. Scheder-Bieschin, M. Hellrich, A. Jipa / ETH Zürich, BRG)

Sie entwickelte danach die Computermethode für die Simulation. ?Schon die ersten Prototypen best?tigten mir, dass ich mit Hilfe einer simplen 2D-Vorfabrikation gefaltete und kompakte Paneele bauen kann, die sich einfach auff?chern lassen. Und dass sie die Steifigkeit haben, die es braucht, um darauf Beton zu giessen.?

In Südafrika wiederverwendet

Neben dem finalen Prototyp, der im Robotic Fabrication Laboratory (RFL) auf dem H?nggerberg steht und eine Spannweite von 3 Meter auf 1,8 Meter hat, gibt es einen zweiten identischen Betonbau. Er steht in Südafrika und wurde mit derselben Schalung gefertigt. Dazu packte der wissenschaftliche Assistent Mark Hellrich, der beim Unfold-Form-Projekt massgeblich mitgearbeitet hatte, die gefaltete Schalung in zwei Surfbrett-Taschen und reiste damit mit dem Flugzeug nach Kapstadt. Zusammen mit der lokalen Partnerfirma externe Seite nonCrete, die sich für nachhaltige Bauten und erschwingliche Wohnr?ume einsetzt, wurde vor Ort der zweite Prototyp gegossen.

Dies zeigt drei Dinge auf einmal: Das Schalungssystem kann ohne Qualit?tseinbussen wiederverwendet werden, es l?sst sich leicht transportieren und es funktioniert mit verschiedenen Betonarten: NonCrete verwendete einen Biobeton auf der Basis von zerkleinerter gebietsfremder invasiver Vegetation. ?Es braucht also keinen perfekten Qualit?tsbeton, um mit der neuen Schalung eine tragfeste Decke zu giessen?, freut sich Scheder-Bieschin.

Das Resultat habe auch die südafrikanische Partnerfirma überzeugt, sagt die Forscherin. ?Mit dem neuartigen Schalungssystem sollen in südafrikanischen Townships dereinst Wohnh?user entstehen, die qualitativ gut, würdig und nachhaltig sind.?

Hilfe zur Selbsthilfe

Nach dem Abschluss ihres Doktorats in ein paar Monaten m?chte die Forscherin ihre Technik als Postdoktorierende an der ETH Zürich weiterentwickeln – und sie dereinst auf den Markt bringen. Zurzeit arbeitet die 33-J?hrige an dem Entwurf einer Markthalle in einer Township in Kapstadt – mit ihrem Schalungssystem. In einem n?chsten Schritt gehe es aber vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe: ?Wir planen Schulungsprogramme für die Menschen vor Ort, damit sie die Schalung und auch die Geb?ude selbst bauen k?nnen.?

Neuer MAS: Entwicklung von innovativen und nachhaltigen Baul?sungen

Ab Herbst 2025 bietet die ETH Zürich den Master of Advanced Studies in Computational Structural Design (MAS ETH CSD) an. Die praxisnahe Weiterbildung dauert ein Jahr und richtet sich an Studierende, Forscher:innen und Praktiker:innen aus den Bereichen Architektur, Ingenieur- und Bauwesen, kurz AEC. Das abwechslungsreiche Programm kombiniert modernste Werkzeuge und Methoden der computergestützten (Architektur-)Geometrie, der technischen Analyse und der Geb?udedatenmodellierung mit neusten Industriestandards und fachübergreifende Projektabwicklung.

Das Ziel des MAS ist es, die zentralen Herausforderungen im AEC-Bereich anzugehen und innovative und nachhaltige L?sungen für die Berufspraxis zu entwickeln. Das Programm mit Fallstudien aus der Industrie ist nahe an der Praxis und relevant für die ganze Branche.

Hinter dem neuen MAS steht die Block Research Group. ?15 Jahre nach Gründung unserer Gruppe k?nnen wir unsere gesammelten Erfahrungen in Forschung, Lehre, Technologietransfer und Praxis nutzen, um sie an die n?chste Generation von Ingenieuren und Architekten weiterzugeben?, freut sich Gruppenleiter und ETH-Professor Philippe Block.

Der erste Studiengang beginnt im Oktober 2025 und endet im August 2026. Anmeldung ab 1. April 2025 m?glich.

Weitere Infos erhalten Sie auf der Webseite zum MAS.

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