Verdrehter Pollenschlauch macht unfruchtbar

Pflanzen mit mehrfachem Chromosomensatz haben gegenüber ihren Verwandten mit doppeltem Chromosomensatz Vorteile. Warum sie aber zu Beginn oft unfruchtbar sind, war nur teilweise bekannt. ETH-Biologinnen haben jetzt einen neuen Grund für die Startschwierigkeiten entdeckt.

Foto von Sand-Schaumkresse auf Gestein
Die Sand-Schaumkresse (Arabidopsis arenosa) dient als Modellpflanze, um das Mysterium der Sterilit?t von neugebildeten Polyploiden zu lüften. (Bild: Kirsten Bomblies / ETH Zürich)

In Kürze

  • Polyploide Pflanzen mit mehrfachen Chromosomens?tzen sind salztolerant oder dürreresistent und erzielen oft h?here Ertr?ge.
  • Frisch gebildete polyploide Pflanzen sind jedoch oft steril oder nur vermindert fruchtbar und für die Züchtung resistenter Linien ungeeignet.
  • Grund dafür ist, dass bei diesen Pflanzen der Pollenschlauch nicht korrekt w?chst und deshalb die Befruchtung nicht stattfindet.
  • Das Pollenschlauchwachstum wird zur Hauptsache von zwei Genen gesteuert, die für die Züchtung von Nutzpflanzen interessant sein k?nnten.

In der Regel haben Pflanzen einen doppelten Chromosomensatz wie die meisten S?ugetiere und Menschen auch. Ein Satz stammt vom Vater, der andere von der Mutter. Sie sind sogenannt diploid. Nun kann es aber passieren, dass sich die Zahl der Chromosomens?tze von einer Generation zur n?chsten verdoppelt: Aus einem diploiden Organismus wird pl?tzlich ein tetraploider, er hat also vier Chromosomens?tze.

Anders als beim Menschen, wo mehrfache Genome meist t?dlich sind, kann Polyploidie für betroffene Pflanzen Vorteile haben. Pflanzen mit mehrfachem Genom passen sich besser an die Umwelt an, sind salztolerant oder dürreresistent. Zudem produzieren sie oft gr?ssere Samen oder Früchte und werfen mehr Ertrag ab – für Nutzpflanzen der Zukunft interessante Eigenschaften.

Doch die Sache hat einen Haken: Neu gebildete polyploide Individuen einer Pflanzenart sind meistens ganz oder fast ganz steril und lassen sich nicht so einfach weitervermehren. Weshalb diese Pflanzen unfruchtbar sind, ist noch nicht vollst?ndig aufgekl?rt.

Gene, die den Pollenschlauch steuern

Kirsten Bomblies, ETH-Professorin für Molekulare Pflanzenevolutionsgenetik, und ihr Team haben nun einen bisher unerkannten Mechanismus für die verminderte Fruchtbarkeit von Polyploiden gefunden. In einer aktuellen Studie im Fachmagazin externe Seite Science zeigen die Forschenden, dass bei neu gebildeten polyploiden Pflanzen der Pollenschlauch nicht richtig w?chst.

Normalerweise keimt aus einem Pollenkorn, das bei der Best?ubung auf der Narbe einer Blüte kleben bleibt, ein langer Schlauch, der gerade und unverzweigt durch den Fruchtknoten zu den Eizellen w?chst. Dort kommt es zur Befruchtung.

Die ETH-Forschenden haben beobachtet, dass in neu gebildeten polyploiden Pflanzen der Pollenschlauch weder gerade noch ausreichend lang w?chst. ?In unseren Versuchen haben wir alle m?glichen Formen beobachtet?, sagt Bomblies, ?krumme, verzweigte, kurze, sogar geplatzte – aber keiner dieser Pollenschl?uche gelangt ins Ziel.? Demnach k?nnen die m?nnlichen Geschlechtszellen, die an der Pollenschlauchspitze sitzen, nicht mit den Eizellen der Pflanze verschmelzen.

Untersucht haben Bomblies und ihre Mitarbeiter:innen dies an der Sand-Schaumkresse (Arabidopsis arenosa). Von dieser Wildblume kommen in der Natur zwei Sippen vor: eine mit doppeltem Satz (wie wir Menschen) und eine mit vierfachem Chromosomensatz. Tetraploide Schaumkressen haben es geschafft, den Nachteil der Genomverdoppelung zu überwinden und sich in eigenst?ndigen Populationen zu etablieren.

In früheren Studien identifizierten die Forscher:innen bei solch tetraploiden Best?nden der Sand-Schaumkresse Gene, die mit der Fruchtbarkeit der Pflanze zusammenh?ngen und für die sich neue Varianten in den Tetraploiden entwickelt haben. In der vorliegenden Arbeit haben die Forschenden rückw?rts verfolgt, welche Merkmale von diesen Genen hervorgebracht werden. Normalerweise verfolgen Forschende in der Evolutionsgenetik h?ufiger den Ansatz, von einem Merkmal (Ph?notyp) ausgehend die Gene zu finden, die dieses Merkmal verursachen.

Die genetische Rückw?rtssuche zeigte den ETH-Forschenden, dass die beiden Gene das Wachstum des Pollenschlauchs steuern. Und: In etablierten tetraploiden Best?nden der Sand-Schaumkresse sind die betreffenden Gene oft leicht ver?ndert, verglichen mit den Versionen, die bei diploiden Individuen vorkommen. ?Die Evolution hat also einen Weg gefunden, die beiden Gene geringfügig so zu variieren, dass tetraploide Individuen fruchtbar sind?, sagt Bomblies.

Nutzen für die Pflanzenzucht noch unklar

Noch haben die Wissenschaftler:innen nicht alle Geheimnisse der Unfruchtbarkeit von neu gebildeten Polyploiden gelüftet. ?Wir untersuchen derzeit weitere Gen-Kandidaten, die ebenfalls in das Wachstums des Pollenschlauchs involviert sind?, erkl?rt die Forscherin.

Ob sich die neuen Erkenntnisse für die Pflanzenzüchtung nutzen lassen, muss erst untersucht werden. Die beiden Gene sind jedoch sogenannt hochkonserviert. Das heisst, sie sind in der Entwicklungsgeschichte erhalten geblieben und in verschiedenen Arten zu finden.

Bomblies h?lt es deshalb für m?glich, dass die beiden Gene der Sand-Schaumkresse in andere Arten transferierbar sind. Daran arbeitet sie derzeit mit ihrer Gruppe: Die Forschenden testen, ob sie die beiden Gene in die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) übertragen k?nnen, eine nahe Verwandte der Sand-Schaumkresse. ?Gelingt es uns, das Gen-Konstrukt auf eine andere Art zu übertragen, k?nnte es für die Züchtung neuer Nutzpflanzen interessant werden?, sagt die Evolutionsforscherin.

Polyploide Nutzpflanzen

Viele Nutzpflanzen sind polyploid. Im Vergleich zu ihren Wildformen haben Kartoffeln, Kaffee und Heidelbeeren viermal so viele Chromosomen, Brotweizen sechsmal so viele und domestizierte Erdbeeren sogar achtmal so viele. Diese Polyploidien haben sich jedoch auf natürliche Weise entwickelt. Vor Tausenden von Jahren w?hlten die ersten Bauern ohne genetische Kenntnisse Pflanzen aus, die zum Beispiel gr?ssere K?rner oder Früchte hatten oder besonders widerstandsf?hig gegen Trockenheit waren, was bei polyploiden Pflanzen h?ufig der Fall ist. Damit f?rderten die Bauern unbeabsichtigt die Polyploidie.

Literaturhinweis

Westermann J, Srikant T, Gonzalo A, San Tan H, Bomblies K. Defective pollen tube tip growth induces neo-polyploid infertility. Science 383, eadh0755 (2024). DOI: externe Seite 10.1126/science.adh0755

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert