Ein kleines Haus wirft grosse Fragen auf

Bereits die ?ussere Erscheinung der kleinen, prismaf?rmigen H¨¹tte im neu er?ffneten Student Project House auf dem ETH-·ÆÂɱösunbetÏÂÔØ_Éê‘_sunbetÏÖ½ðÍø-¡¾¹Ù·½ÍøÕ¾¡¿ Zentrum vermag Betracherinnen und Betrachter neugierig zu machen. Sie ist mit LED-Lichtern geschm¨¹ckt, mit einem Solarpanel verbunden und hat im Inneren bequeme Sitze zum Meditieren. Die vision?re Idee, die der Holzkonstruktion zugrundeliegt, l?sst sich auf den ersten Blick jedoch kaum erahnen. ?Die Vision ist m?chtig?, ist Hongyang Wang ¨¹berzeugt. ?Sie ber¨¹hrt alle Bereiche der Gesellschaft und stellt viele unserer grundlegenden Vorstellungen auf den Kopf? sagt Wang, die schon als Masterstudentin an diesem Projekt arbeitete. Aktuell ist sie Doktorandin an der Professur f¨¹r innovatives und industrielles Bauen, die sich unter anderem mit neuen Technologien, Governance-Strategien und Organisationsmodellen f¨¹r Bauprozesse befasst.

Die erw?hnte Vision sei entweder eine sehr kleine oder eine sehr grosse, f¨¹hrt Wang aus. Die kleine Vision k?nnte so aussehen wie die H¨¹tte im Student Project House. Die solarbetriebene Meditationskabine funktioniert autonom und jeder und jede kann ihn online f¨¹r eine bestimmte Zeit mieten, um darin zu meditieren. Einlass gew?hrt der Pod automatisch nach dem Vorzeigen eines QR-Codes. Das ist praktisch. Die grosse Vision beginnt eine Ebene ¨¹ber dem unmittelbaren Raumerlebnis bei der Funktions- und Organisationsweise der H¨¹tte. Der Name des Projekts, ?no1s1? (ausgesprochen wie ?no one¡¯s one?), gibt den ersten Hinweis: Der Meditationsraum ist ein Prototyp f¨¹r ein Haus, das niemandem geh?rt. Er verwaltet und vermietet sich selbst. Die Einnahmen sollen k¨¹nftig in Form der Kryptow?hrung Ethereum erfolgen ¨C die momentane Test-Version kostet kein echtes Geld ¨C und auf ein Konto (Wallet) fliessen, das vom Haus selbst kontrolliert wird. In der Theorie k?nnte es nicht nur im Schadensfall selbst einen Handwerker rufen, sondern sich sogar rechtlich selbst besitzen. Erm?glichen soll dies eine sogenannte Dezentralisierte Autonome Organisation (DAO), die mit dem Haus verbunden ist.

Eine Infrastruktur wie ein nat¨¹rliches ?kosystem

Die Organisation dieser computergest¨¹tzten Selbstverwaltung  basiert auf der Blockchain-Technologie. Diese verspricht ein enormes Potenzial zur Dezentralisierung: Die Blockchain erlaubt es etwa, Vertr?ge abzuschliessen, ohne dass eine zentrale, m?glichst vertrauensw¨¹rdige Instanz wie eine Bank oder Regierung daf¨¹r b¨¹rgen muss (auch Kryptow?hrungen beruhen auf dieser Idee und Technologie). So kann sich eine grosse Zahl von Menschen ¨C oder digitalen Systemen ¨C zu einem bestimmten Zweck koordinieren, ohne dass hierarchische Strukturen und menschliche Vermittlung erforderlich w?ren. Diese ?Smart Contracts? bilden auch die Grundlage f¨¹r die DAO, die den Meditations-Pod betreibt. Menschen k?nnen sich darin organisieren und nach demokratischen Prinzipien auch die Regeln in den Vertr?gen ?ndern ¨C einen menschlichen Besitzer braucht die Struktur deswegen nicht. Die Weiterentwicklung der Regeln k?nnte zudem theoretisch auch eine k¨¹nstliche Intelligenz (mit-)¨¹bernehmen. Solche autonomen Organisationsformen k?nnten je nach Entwicklung dereinst herk?mmlichen Unternehmen auch rechtlich gleichgestellt sein.

Noch ist das nicht die Realit?t. Vielmehr zeigt sich darin die Tragweite der Idee: no1s1 als alternatives Modell f¨¹r Immobilien und Infrastruktur. Die Technologie sei daf¨¹r noch nicht reif, betont Hongyang Wang, und no1s1 sei weltweit noch das erste ihr bekannte Projekt, das eine DAO mit einem physischen Objekt verbinde. Das Potenzial erkl?rt sie wie folgt: ?Wenn Immobilien keine menschlichen Besitzerinnen oder Besitzer haben, entfallen durch die automatisierte Koordination hohe administrative Kosten. Vor allem aber muss das Modell nicht profitabel sein.? Allf?llige ?bersch¨¹sse k?nnten in den Unterhalt der Bauten oder an die Nutzenden zur¨¹ckfliessen.

Wenn man die Vision konsequent zu Ende denkt, gelangt man zu einer Idee namens ?Nature 2.0?: Einer menschlichen Infrastruktur, die sich selbsterhaltend verwaltet und reguliert ¨C wie ein nat¨¹rliches ?kosystem, etwa ein Wald, das tut. Das Projekt zeige eine Alternative zu der Vorstellung von Wohnraum als Kapitalanlage auf, sagt Wangs Doktorvater Daniel Hall, Professor am Institut f¨¹r Bau- und Infrastrukturmanagement des Departements Bau, Umwelt und Geomatik (BAUG) der ETH: ?Die vielerorts wachsende wirtschaftliche Ungleichheit und die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt sind Ausgangspunkte unserer ?berlegungen.? Hier setze die Idee von dezentralen, autonomen Objekten an: ?Indem wir prototypisch zeigen, dass no1s1 selbsterhaltend statt profitorientiert funktionieren kann, k?nnten wir dem Ziel von geeignetem und bezahlbarem Wohnraum f¨¹r alle Menschen einen Schritt n?her kommen.?

Keine Antwort, sondern eine Diskussionsgrundlage

No1s1 kam als Idee des Z¨¹rcher Think-Tanks Dezentrum an die ETH. Mit Unterst¨¹tzung der Projektpartner Digitec und Ernst & Young erarbeitete Wang zusammen mit ihrem Betreuer Jens Hunhevicz daraus ihre Masterarbeit sowie ein Conference Paper. Das Haus markiert ¨C gemessen an seiner Vision ¨C den ersten Schritt einer langen Reise. ?Das Projekt wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet ¨C und das war auch das Ziel?, sagt Daniel Hall. Das betrifft einerseits die Technologie: Wie l?sst sich zum Beispiel eine DAO so programmieren, dass sie f¨¹r eine Gruppe von Menschen in einem demokratischen Prozess ver?nderbar, aber von niemandem manipulierbar ist? Die wohl noch komplexeren Fragen sind jedoch gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Natur: Wer finanziert zum Beispiel ein Bauprojekt f¨¹r ein Haus, das sich selbst geh?rt? Und wer soll alles am DAO eines bestimmten Geb?udes mitwirken k?nnen?

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob das Konzept wirklich eine positive Ver?nderung bringen w¨¹rde ¨C und ob es sich nicht sogar negativ auswirken kann. Ob selbstverwaltete H?user tats?chlich zu tieferen Mietkosten f¨¹hren und ob Smart Contracts und k¨¹nstliche Intelligenz langfristig im Interesse der Gesellschaft handeln, stellen die Autoren des Forschungspapiers selbst offen infrage. ?Das Projekt soll nicht prim?r Dinge ver?ndern, sondern die M?glichkeiten der Ver?nderung ausloten?, stellt Hongyang Wang klar. Es gehe darum, gesellschaftliche Fragen aufzuwerfen, die sich im Zuge der rasanten technologischen Entwicklung aufdr?ngten.

Ihren Fokus im weiteren Projektverlauf legen Wang und Hall nun auf die Nutzung des Objekts und die Regeln einer solchen dezentralen Organisation. ?Mit dem Prototyp m?chten wir herausfinden, wie das Haus genutzt wird und welche Bed¨¹rfnisse die Nutzerinnen und Nutzer k¨¹nftig haben werden?, erkl?rt Daniel Hall. Daf¨¹r sei es ideal, dass das Haus im neuen Student Project House stehe und breit zug?nglich sei. Der Zweck des ein Meditationsraums eigne sich gut f¨¹r einen Prototyp, weil seine Nutzung vergleichsweise einfach ist. Wang, die selbst gern meditiert, sieht darin auch ein Symbol: ?Die Meditation hat mich gelehrt, wie ?hnlich sich Menschen im Innersten sind, wie alle ein Potenzial haben und den gleichen Respekt verdienen.? Nicht zuletzt darum, sagt sie, m?chte sie mit ihrer Forschung m?gliche Wege finden, um die Welt mittels Technologie ein bisschen fairer zu machen.