Wir brauchen einen Weltrat für Chemikalien und Abfall
Giftige Chemikalien sind ein globales Problem, das einer globalen L?sung harrt, sagt Zhanyun Wang. Ein Gremium ?hnlich dem Weltklimarat k?nnte die Kluft zwischen Wissenschaft und Politik überbrücken.
Chemikalien sind das Schmiermittel der modernen Welt. Doch die Welt geht mit Chemikalien h?chst unzureichend um. In den letzten Jahrzehnten nahmen die Anzahl und Vielfalt der gehandelten Chemikalien stark zu – heute sind es einige hunderttausend Substanzen. Bei mehr als einem Drittel davon kennt man die chemischen Eigenschaften nur schlecht und weiss nicht, wie giftig sie sind. Mindestens drei Prozent aller Chemikalien haben gef?hrliche Eigenschaften.1
Zu den ?bekannten? Chemikalien, die für Mensch und Umwelt sch?dlich sind, geh?ren etwa giftige Fluorverbindungen, sogenannte PFAS, die unsere Regenjacken wasserdicht machen, aber Krebs verursachen k?nnen. Oder Pestizide, die Ackerland vor Unkraut und Sch?dlingen schützen, aber zum Insektensterben beitragen. Oder Schwermetalle aus elektronischen Altger?ten und Elektroautobatterien, die Menschen, die wertvolle Reste aus den Deponien heraussuchen, und die Umwelt vergiften. Blei verursacht immer noch jedes Jahr fast eine Million vorzeitige Todesf?lle weltweit.2
Es gibt Fortschritte, doch das reicht nicht
Viele Industriel?nder haben gesetzliche Regelwerke geschaffen, um das Problem anzugehen. Solche Regelwerke müssen jedoch durch einen internationalen regulatorischen Rahmen erg?nzt werden, um wirksam zu sein.
Das gilt insbesondere für grenzüberschreitende Problemstoffe wie Schwermetalle, persistente organische Schadstoffe und Kunststoffabf?lle. Auch die Schweiz importiert etliche Produkte aus der ganzen Welt; nur wenn L?nder entlang globaler Lieferketten gemeinsam handeln, lassen sich sichere Produkte gew?hrleisten.
?Wir identifizieren erhebliche M?ngel im Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik, die ein effektives Management von Chemikalien und Abf?llen unterbinden.?Zhanyun Wang
Für einen Grossteil der verwendeten Chemikalien gibt es jedoch substantielle Wissenslücken, die einen vernünftigen Umgang mit ihnen verhindern. Darüber hinaus sind die Kontrollmassnahmen für jene Chemikalien, die als problematisch gelten oder bei denen es Bedenken gibt, oft unzureichend. Die Erfahrung zeigt, dass es meist lange dauert, bis die internationale Gemeinschaft angemessen reagiert.
Ein aktuelles Beispiel ist UV-328, ein weit verbreiteter Zusatzstoff, der Kunststoffe vor UV-Licht schützt: Nachdem das langlebige und toxische Mittel jahrzehntelang global zum Einsatz gekommen war, schlug die Schweizer Regierung UV-328 erst vor kurzem für das Stockholmer ?bereinkommen über persistente organische Schadstoffe zur globalen Regulierung vor.3
L?nder sollen Kontrolle st?rken
Nun gibt es positive Signale. N?chste Woche treffen sich die Umweltminister aller L?nder, um die Weichen für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) für die Jahre 2022 bis 2025 zu stellen.4 Neben dem Klimawandel und dem Verlust der Artenvielfalt sollen neu auch Massnahmen gegen giftige Chemikalien, erm?glicht durch st?rkeren Austausch zwischen Wissenschaft und Politik, eine zentrale Aufgabe des UNEP werden.
Als Forschende der Umweltchemie unterstützen wir diese Agenda ausdrücklich. In einer ?Perspective? in externe Seite Science haben wir zusammen mit einem interdisziplin?ren Team die weltweiten Verbindungen zwischen Wissenschaft und Politik im Bereich Chemikalien und Abfall untersucht – die Basis für fundierte Politikgestaltung.5 Wir fanden eine stark fragmentierte Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik vor, deren Fokus zu eng und deren Wirkung begrenzt ist.
Unsere Studie identifiziert vier erhebliche M?ngel im Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Politik, die ein effektives Management von Chemikalien und Abf?llen behindern: Zu wenige Stoffe werden abgedeckt, es fehlt an Weitsicht und Frühwarnmechanismen, die Kommunikation ist in beide Richtungen mangelhaft, und die M?glichkeiten für wissenschaftliches Engagement sind begrenzt. Das schr?nkt die F?higkeit der internationalen Gemeinschaft ein, wichtige Themen auf die Agenda zu setzen und gemeinsam zu verfolgen.
Diese begrenzten M?glichkeiten stehen in scharfem Kontrast zur grossen Vielfalt an Chemikalien sowie zum zunehmenden Wissen über toxische Wirkungen.
Die Lücke schliessen
Wir sind überzeugt: Ein zwischenstaatliches wissenschaftlich-politisches Gremium für Chemikalien und Abf?lle k?nnte wesentlich dazu beitragen, die Belastung von Umwelt und Gesundheit durch Chemikalien zu bek?mpfen – ?hnlich wie das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) den Klimawandel oder die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Service (IPBES) den Verlust der Artenvielfalt.