Dem Zufall auf die Sprünge helfen

Wenn Studierende w?hrend ihrer Studienzeit Freundschaften und starke Netzwerke aufbauen, hat das oft weitreichende Folgen f¨¹r ihren Erfolg im Studium und auch im  sp?teren Leben. Studierende, die mit Freunden auf Pr¨¹fungen lernen, haben zum Beispiel bessere Chancen, diese zu bestehen (vgl. ETH-News vom 10.01.2019). Diese Einsicht haben vier Forschende des Social Networks Lab an der ETH Z¨¹rich nun weiter vertieft. Mit verschiedenen Ans?tzen haben sie drei Jahre lang im Rahmen der Swiss StudentLife-Studie untersucht, wie die Vernetzung unter Studierenden verl?uft und welche Ereignisse die Beziehungen unter ihnen st?rken k?nnen. Ende Februar ver?ffentlichten sie externe Seite in der Fachzeitschrift Scientific Reports die Ergebnisse eines Experiments, das auf einer fr¨¹hen ?sozialen Netzwerkintervention? basiert.

Erstkontakte bewusst organisieren

Dabei geht es um Folgendes: Wie genau Menschen sich kennenlernen und mit wem sie wann Freundschaften bilden, ist oft vom Zufall geleitet. Auch im Studium. Die Einteilung in eine Arbeitsgruppe kann ebenso dazu f¨¹hren, dass Freundschaften entstehen, wie dass man am ersten Tag zuf?llig nebeneinandersitzt. Selbst wenn diese anf?nglichen Beziehungen mit der Zeit verblassen sollten, sind sie doch wichtige erste Kontakte, die die weitere Entwicklung des eigenen Netzwerks entscheidend beeinflussen k?nnen.

Oft ist auch gar nicht so viel Zufall im Spiel, wie man meinten k?nnte. Etwa, wenn eine Arbeitsgruppe alphabetisch nach Nachnamen eingeteilt wird. Ausl?ndische Studierende sind dann vielleicht eher hinten im Alphabet. Das kann dazu f¨¹hren, dass die Gruppen homogener werden. Eine gr?ssere Durchmischung k?nnte demgegen¨¹ber viel Positives bewirken. Darum wollten die Forschenden gezielt testen, was geschieht, wenn man diese Erstkontakte zwischen den Studierenden nicht dem Zufall ¨¹berl?sst, sondern bewusst organisiert.

Erstmals genauer untersucht

Dazu nutzten sie zwei Einf¨¹hrungsveranstaltungen f¨¹r angehende Ingenieurs-Bachelorstudierende an einer Schweizer Hochschule. Die Veranstaltungen seien einerseits zur Information gedacht, andererseits, um eine fr¨¹he Vernetzung zu erm?glichen: ?Aber vieles verl?uft da implizit. Es hat noch niemand systematisch untersucht, was tats?chlich ihr sozialer Effekt ist?, meint Christoph Stadtfeld, einer der Autoren der Studie. Auch auf Anregung von Lehrverantwortlichen aus den Studieng?ngen hin kam die Idee zustande, die Entstehung und Entwicklung der Beziehungsnetzwerke l?ngerfristig zu untersuchen.

Die zwei identischen Veranstaltungen dauerten jeweils zwei Stunden und fanden zwei respektive drei Monate vor Beginn des Studiums statt. Nach einem kurzen Einf¨¹hrungsreferat wurden die teilnehmenden Studierenden f¨¹r eine ·ÆÂɱösunbetÏÂÔØ_Éê‘_sunbetÏÖ½ðÍø-¡¾¹Ù·½ÍøÕ¾¡¿-Tour, eine Diskussionsrunde und eine gemeinsame Mahlzeit in Gruppen von f¨¹nf bis neun Personen eingeteilt, bei denen sie sich kennenlernen konnten. Die Gruppenzusammensetzung war randomisiert, das heisst, es wurde eine Zufallsauswahl getroffen. Die Forschenden achteten einzig darauf, dass die Geschlechterzusammensetzung der jeweiligen Gruppe m?glichst dem Geschlechterverh?ltnis aller angehenden Bachelorstudierenden entsprach und keine reinen Frauen- oder M?nnergruppen entstanden. Rund 200 Studierende - etwa die H?lfte hatte an den Veranstaltungen teilgenommen - wurden nach der Veranstaltung rund ein Jahr lang zu sechs verschiedenen Zeitpunkten zu ihrem Sozialleben befragt. Also unter anderem dazu, mit wem sie im Studium befreundet sind und zusammenarbeiten.

Sichtbare Unterschiede

Die Auswertung ergab, dass bis drei Monate nach der Intervention jene Studierenden deutlich h?ufiger miteinander befreundet waren, die an der Einf¨¹hrungsveranstaltung teilgenommen hatten und in derselben Gruppe gewesen waren. Noch bis nach sieben Monaten hatten sie h?ufiger gemeinsame Freunde, und nach neun Monaten stellten die Forschenden zudem fest, dass auch h?ufiger Freundschaften zwischen Studentinnen und Studenten entstanden waren.

Wie die Forschenden weiter schreiben, spielen auch andere soziale Prozesse eine Rolle bei der Entwicklung studentischer Netzwerke. Zum Beispiel, dass Menschen dazu neigen, mit anderen Menschen zusammenszuspannen, die ?hnliche Eigenschaften haben wie sie selbst. Oder dass Menschen sich zu bereits besonders beliebten Mitmenschen hingezogen f¨¹hlen. Aber diese Prozesse brauchen Initialkontakte, um ihre Wirkung zu entfalten. Darum sind fr¨¹he Interventionen wie die Kennenlernevents sehr hilfreich, um den Austausch und die Entwicklung von Beziehungen unter den Studierenden anzuregen.

Durchmischung wirkt positiv

Aus der Sicht einer Universit?t gehe es in einem Studium vor allem auch darum, sagt Mitautor Timon Elmer, jene Studierenden zu f?rdern, die das Potenzial, das Talent, den Willen und die Motivation mitbringen, um sich im jeweiligen Fachgebiet zu qualifizieren. ?Was  nicht passieren sollte, ist, dass Studierende mit Potenzial die Pr¨¹fungen und das Studium nicht schaffen, weil sie innerhalb des Netzwerks der Studierenden wenig integriert sind oder ganz durch das soziale Raster fallen.?
Das passiert am ehesten bei jenen, die in der Gesamtmenge der Studierenden ?unterrepr?sentiert?, also als Gruppe weniger vertreten sind. In MINT-F?chern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) sind das zum Beispiel oft die weiblichen Studierenden, deren Abbruchquote h?her ist als bei M?nnern. Eine bessere Integrationsbasis zu schaffen, k?nnte die Chancengleichheit f¨¹r alle Gruppen und Geschlechter erh?hen, meint Elmer.

Erkenntnisse fliessen in die Praxis ein

Das Potenzial beschr?nkt sich dabei offenbar nicht auf Geschlechter. Auch herkunfts- oder sprachbedingte soziale Grenzen k?nnte man mit Netzwerkinterventionen ¨¹berwinden. Mehr Austausch und mehr Kontakte zwischen den sozialen Gruppen erh?he die Chancengleichheit im Studium und auch sp?ter im Arbeitsmarkt, weil die Studierenden eben auch mehr studien- und berufsrelevante Information untereinander austauschen, wenn sie aktive Beziehungen und Freundschaften zueinander pflegen.

Was heisst das f¨¹r die ETH? Seine Forschungsgruppe sei st?ndig im Kontakt mit den ·ÆÂɱösunbetÏÂÔØ_Éê‘_sunbetÏÖ½ðÍø-¡¾¹Ù·½ÍøÕ¾¡¿n und deren Lehrpraxis, meint Christoph Stadtfeld. Das Wissen aus der mehrj?hrigen Forschung fliesse laufend in den Lehrbetrieb der ETH ein. Und es hat sich best?tigt, dass sich die an der ETH gepflegte Praxis der Informationstage vor Studienbeginn grunds?tzlich lohnt. Besonders in den aktuellen Zeiten von Online-Events w?hrend der Corona-Pandemie sei es wichtig, dass M?glichkeiten f¨¹r fr¨¹he soziale Integration nicht verloren gehen, schliesst Stadtfeld.

Forschende des Social Networks Lab sind an der Qualit?tsoffensive ?Open ETH? (vormals ETH+) beteiligt. Die Netzwerkforschung wurde im Rahmen der ?Future Learning?-Initiative aufgegriffen.