Planen für die offene Stadt

Das Architekturb¨¹ro von Kees Christiaanse liegt nicht zuf?llig in einem schn?rkellosen Betonbau am Unteren Letten in Z¨¹richs Stadtzentrum. Die Gegend gef?llt ihm wegen seiner vielen ?ffentlichen und halb?ffentlichen Nischen, die sich die Bewohner der Stadt aneignen ¨C farbenfrohe Buvetten, improvisierte Sonnenterrassen, alternative WM-Bars und bespielte Innenh?fe. Hier finden sich viele Charakteristiken dessen, was f¨¹r Christiaanse eine ?Open City? ausmacht: Stark verknotete Verbindungswege und durchdringliche ?ffentliche und halb?ffentliche R?ume, die ein Maximum an sozialer Interaktion zulassen. Eine Stadt, deren Struktur m?glichst inklusiv wirkt, mit multifunktionalen Geb?uden, in denen B¨¹ros, Gesch?fte und Wohnungen nebeneinander existieren. Eine Stadt auch, in der Nutzer mit unterschiedlichem Alter, unterschiedlicher Herkunft und sozialem Status zusammenleben.

Seit Mitte 90er-Jahre ist die Open City das Leitkonzept des weltweit renommierten St?dteplaners und ETH-Professors. 2009 erhob er sie gar zum Motto f¨¹r die vierte internationale Architekturbiennale in Rotterdam, die Christiaanse gemeinsam mit seinem Team an der ETH kuratierte. Seine Biennale verlieh der Diskussion dar¨¹ber, wie Architektur zu Nachhaltigkeit, sozialer Inklusion und Innovation in St?dten beitragen kann, neuen Schwung.

St?dtebau in Forschung verankert

Es ist einer der ersten heissen Sommertage in Z¨¹rich. Christiaanse tr?gt ein kurz?rmeliges weisses Hemd, gesprenkelt mit grellen Farbpunkten. Trotz Projekten auf der ganzen Welt und Pendeln zwischen Z¨¹rich, Rotterdam und Singapur wirkt er entspannt. Er empf?ngt im k¨¹hlen Untergeschoss seines B¨¹ros, schl?gt jedoch vor, das Gespr?ch im Freibad nebenan zu f¨¹hren. Er gehe ¨¹ber Mittag oft in die Lettenbadi zum Schwimmen, erz?hlt er. Das Wasser ist eine Konstante in Christiaanses Leben. In Holland aufgewachsen, war das Meer nie weit. Sp?ter spiegelte sich die Faszination f¨¹rs Wasser in der Auswahl seiner Projekte wider, darunter viele Planungen in Hafengebieten, wie in Rotterdam und Hamburg.

Als Christiaanse 2003 als Professor f¨¹r St?dtebau an die ETH berufen wurde, galt es erst einmal, die Disziplin in Z¨¹rich zu etablieren. ?Damals lag der Fokus noch sehr stark auf der Architektur?, erinnert er sich. Zusammen mit weiteren Professoren wie Marc Ang¨¦lil und Christophe Girot setzte er sich f¨¹r den St?dtebau in Forschung und Lehre ein. Befl¨¹gelt wurde dies durch das ETH Studio Basel, das kurz zuvor gegr¨¹ndet worden war. Das Departement Architektur erlebte daraufhin einen grunds?tzlichen Wandel hin zu einer intensiven Auseinandersetzung mit St?dten und Urbanit?t. Ihren vorl?ufigen H?hepunkt fand diese Entwicklung 2010 mit der Gr¨¹ndung des ?Future Cities Laboratory? (FCL) in Singapur, als dessen Programmleiter Christiaanse die ersten f¨¹nf Jahre waltete.

Mit Koolhaas auf dem Kinderkreuzzug

Ein holistischer Blick auf Architektur und St?dtebau durchzieht Christiaanses Werk von Anfang an. Als er in den 70er-Jahren an der TU Delft Architektur studierte, war der erste Bericht des ?Club of Rome? zu den Grenzen des Wachstums bereits erschienen. Die 68er-Jahre wirkten noch nach und Themen wie Umweltschutz, soziale Inklusion und Partizipation fanden auch in der Architektur ihren Ausdruck.

Als Teil der Besetzerszene engagierte sich der junge Architekt selbst politisch gegen steigende Mieten und die Verdr?ngung aus der Stadt. Inspiration daf¨¹r holte er sich bei ?The Death and Life of Great American Cities? der amerikanischen Journalistin und Aktivistin Jane Jacobs. Sie thematisierte schon fr¨¹h die Wichtigkeit von Diversit?t f¨¹r lebendige St?dte und beschrieb aufkommende Tendenzen der Gentrifizierung und Segregation. ?Obschon anfangs der 60er-Jahre erschienen, ist es bis heute eines der besten B¨¹cher zu Stadtentwicklung geblieben?, sagt Christiaanse.

Nachhaltig gepr?gt wurde sein Schaffen auch durch Rem Koolhaas, den holl?ndischen Doyen des St?dtebaus. Als dieser an die TU Delft berufen wurde, habe dort eine Art linke Diktatur geherrscht, erinnert sich Christiaanse. ?Wir haben damals mehr politisiert als Pl?ne gezeichnet.?

Das ?nderte sich mit Koolhaas, der gerade aus New York zur¨¹ckgekehrt war. Er habe das Entwerfen wieder rehabilitiert und sich f¨¹r stimmungsvolle Entw¨¹rfe sowie sauberen Modellbau eingesetzt. Als Koolhaas sein B¨¹ro OMA in Rotterdam gr¨¹ndete, lud er den Studenten Christiaanse f¨¹r ein dreimonatiges Praktikum ein. Daraus wurde eine Zusammenarbeit ¨¹ber achteinhalb Jahre. Er erinnert sich: ?Wir waren auf einem Kinderkreuzzug. Ohne wirkliche Erfahrung machten wir bei Stadtplanungswettbewerben auf der ganzen Welt mit.? Nach f¨¹nf Jahren war OMA international etabliert und das B¨¹ro auf 50 Mitarbeitende angewachsen. Christiaanse vergass dar¨¹ber beinahe sein Studium abzuschliessen.

?HafenCity? und ?Science City ETH?

1989 war die Zeit gekommen, um aus dem Schatten des neun Jahre ?lteren ?bervaters zu treten. Er gr¨¹ndete sein eigenes B¨¹ro ?KCAP Architects&Planners?, das heute ¨¹ber 100 Architektinnen, St?dteplaner und Spezialistinnen in B¨¹ros in Z¨¹rich, Rotterdam und Shanghai besch?ftigt. Es folgten Megaprojekte, wie im Jahr 2000 der Masterplan f¨¹r die ?HafenCity? in Hamburg, mit welcher das Stadtzentrum um 40 Prozent erweitert werden soll. Voraussichtlicher Abschluss der Bauten: 2030. Wer St?dtebau betreibt, muss Langfristigkeit aushalten: Vom ersten Masterplan, ¨¹ber die politische Legitimation und die Auswahl der ausf¨¹hrenden Architekten bis hin zu den Bauarbeiten vergehen oft Jahrzehnte.

Christiaanses B¨¹ro hat auch in Z¨¹rich Spuren hinterlassen: Es war f¨¹r den Masterplan ?Science City ETH? des ·ÆÂɱösunbetÏÂÔØ_Éê‘_sunbetÏÖ½ðÍø-¡¾¹Ù·½ÍøÕ¾¡¿ H?nggerberg verantwortlich. Und im Auftrag der SBB und der Stadt Z¨¹rich erarbeitete es den Masterplan f¨¹r die Europa-Allee beim Z¨¹rcher Hauptbahnhof. Ein Areal von 78¡¯000m² an zentralster Lage, das bis 2020 Platz f¨¹r 8000 B¨¹ropl?tze, 400 Eigentums- und Mietwohnungen und 76 Gesch?fte bieten soll.

Gegen das Projekt wurde unter anderem wegen Angst vor Gentrifizierung und steigenden Mietpreisen von Z¨¹rcher B¨¹rgerinnen und B¨¹rger das Referendum ergriffen. Daf¨¹r hat Christiaanse Verst?ndnis; wahrscheinlich h?tte er damals als Student ?hnlich reagiert. Gleichzeitig verweist er auf Grenzen der Einflussnahme des Planers: ?Wir schlagen bei solchen Projekten immer vor, dass 25 bis 30 Prozent der Baufl?che als g¨¹nstiger Wohnraum ausgewiesen wird?, sagt er. ?Doch am Ende entscheidet nat¨¹rlich der Bauherr.? Dass die Europa-Allee trotzdem Elemente einer Open City tr?gt, zeigt sich f¨¹r ihn an Orten wie dem Kulturzentrum ?Kosmos?.

Drang nach Komplexit?t

Zur Beantwortung der Frage, was er nach seiner Emeritierung am meisten vermissen werde, muss Christiaanse nicht lange ¨¹berlegen: ?Mein Team!? Es sei eines der Erfolgsrezepte der ETH, dass man als Architekturprofessor seine eigene Forschungsgruppe zusammenstellen d¨¹rfe. ?Als ich in Z¨¹rich begann, gab es noch kein einziges B¨¹ro f¨¹r Stadtentwicklung?, erinnert er sich. ?Heute sind es mindestens f¨¹nf und alle Gr¨¹nder kommen aus meinem Stall.? Er sehe seine ehemaligen Studierenden mittlerweile oft bei Wettbewerben.

Sorgen macht er sich deswegen aber nicht: ?Das Sch?ne am St?dtebau ist, dass er von der Erfahrung lebt.? Wie man komplexe Prozesse mit Dutzenden von Planern, Investoren, Politikern und Spezialisten zielf¨¹hrend moderiert, das lerne man nicht im Studium, sondern in jahrelanger Praxis.

An Ruhestand denkt er deshalb nicht; vielmehr folge er seinem Drang nach Komplexit?t. Derzeit liege bei KCAP eine Anfrage aus China. Das Stadtzentrum der 13-Millionen-Metropole Shenzhen ¨C ein Gebiet von 80 km² ¨C soll st?dtebaulich analysiert und darauf basierend ein Masterplan f¨¹r die kommenden zehn Jahre erarbeitet werden. Ein St?dtebauprojekt, gr?sser als alles, was Christiaanse bisher geplant hatte. ?Sie sehen, mit meiner Emeritierung wird sich nicht viel ?ndern?, sagt er und schmunzelt schelmisch.