Geologische Tiefenlager: Leitfaden für auszuhandelnde Abgeltungen

Die künftigen Standortregionen von geologischen Tiefenlagern für radioaktive Abf?lle sollen dereinst abgegolten werden. Solche Zahlungen sind gesetzlich nicht geregelt und daher Verhandlungssache. Für diesen Prozess gibt es nun einen breit abgestützten Leitfaden, schreibt Michael Ambühl.

Vergr?sserte Ansicht: Handschlag vor Atommüll-Fässern
Wo keine gesetzliche Grundlage besteht, muss verhandelt werden. (Bild: sad444 / iStock)

Wo sollen radioaktive Abf?lle sicher entsorgt werden? Weltweit ist dieses Problem noch nicht gel?st. Auch wir in der Schweiz produzieren Abf?lle, die sehr lange strahlen. Diese müssen laut Kernenergiegesetz grunds?tzlich bei uns im Inland entsorgt werden, und zwar so, dass ein dauernder Schutz von Mensch und Umwelt gew?hrleistet ist.

Da geologische Tiefenlager nach jetzigem Wissenstand als sicherste L?sung für radioaktive Abf?lle gelten, ist diese Art der Entsorgung gesetzlich vorgeschrieben. Für deren Kosten müssen zum gr?ssten Teil die Betreiber von Kernanlagen aufkommen, aber auch der Bund, der zust?ndig für Abf?lle aus Medizin, Industrie und Forschung ist.

Tiefenlager sind unbeliebt – man muss verhandeln

Radioaktive Abf?lle wecken ?ngste, weshalb es auch Widerstand in den m?glichen Standortregionen solcher Tiefenlager gibt. Es handelt sich um ein Dilemma: Einerseits schreibt der Gesetzgeber Tiefenlager vor, andererseits will niemand diese auf dem eigenen Grund und Boden haben.

Die Standorte sollen ausschliesslich nach dem Aspekt der Sicherheit ausgew?hlt werden. Politisch und gesellschaftlich ist aber der Wille vorhanden, die Standortregionen für ihren Beitrag zu dieser wichtigen Aufgabe auch finanziell abzugelten. Aus verschiedenen Gründen gibt es dafür aber keine gesetzliche Grundlage – die Bezahlungen müssen also auf freiwilliger Basis erfolgen. Der Bundesrat setzt deshalb auf Verhandlungen zwischen den Kernkraftwerkbetreibern, den Standortkantonen und Standortregionen.

Um diese Verhandlungen zu erm?glichen und vorzubereiten hat das Bundesamt für Energie unseren Lehrstuhl für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement (NECOM) beauftragt, einen Rahmen für diesen zukünftigen Verhandlungsprozess zu erarbeiten.

Einfache Fragen k?nnen zu Problemen werden

Wir verstehen eine Verhandlung als einen freien Austausch zwischen zwei oder mehr Parteien, mit dem Ziel, eine gemeinsame Vereinbarung zu treffen. Es besteht keine rechtliche Verpflichtung zu verhandeln, und es existiert auch keine übergeordnete Instanz, welche bei Uneinigkeit entscheiden k?nnte. Mit Blick auf die Gesamtsituation ist es in solch einem Fall für alle Parteien besser, eine L?sung zu finden als bei den Verhandlungen zu scheitern.

Um den Rahmen für erfolgreiche Verhandlungen zu setzen, müssen die wichtigsten Fragen gekl?rt werden: Was ist der Verhandlungsgegenstand? Wer sind die Verhandlungsparteien? Wann soll mit den Verhandlungen begonnen und wie sollen diese organisiert werden? Wann ist eine Einigung erzielt? Diese Punkte m?gen einfach daherkommen, stellten uns im vorliegenden Fall aber doch vor grosse Schwierigkeiten.

Verhandeln übers Verhandeln

Weil die zukünftigen Verhandlungen freiwillig sind, ist auch der nun vorliegende Verhandlungsrahmen nur dann etwas wert, wenn er von allen Parteien getragen und akzeptiert wird. Dies machte die Ausarbeitung des Verhandlungsrahmens selbst zu einer Verhandlung. Unsere Rolle bestand also nicht darin, losgel?st von den Befindlichkeiten der Parteien einen m?glichst guten Vorschlag zu unterbreiten. Stattdessen mussten wir, gestützt auf die Verhandlungstheorie, Spielregeln erarbeiten, denen am Ende alle Parteien zustimmen.

Dieser Prozess entsprach dem, was wir ?multilaterale Verhandlung? nennen – mit all ihren Herausforderungen und Schwierigkeiten. Es war wichtig, einen engen Kontakt zu allen Beteiligten w?hrend des gesamten Prozesses zu halten, aus einer neutralen Position heraus zu vermitteln und immer aktiv neue Ideen bereit zu haben. Oft kann eine gute neue Idee eine scheinbar verfahrene Situation wieder aufl?sen.

Ein Beispiel dafür ist die Rolle der deutschen Regionen am Verhandlungsprozess, deren Mitwirkung anf?nglich umstritten war. Wir haben den Einbezug der deutschen Nachbargemeinden durch einen zus?tzlichen Sitz in der Delegation der Schweizer Gemeinden vorgeschlagen. Dadurch wurde die Sitzzahl der Schweizer Gemeinden nicht reduziert. Ein Vorschlag, den schliesslich alle Beteiligten akzeptierten.

Den Weg ebenen

Am Ende ist es gelungen, einen Verhandlungsrahmen von allen beteiligten Parteien verabschieden zu lassen. Am 22. September haben 20 Personen ihre Unterschrift unter das Dokument gesetzt. Dadurch k?nnen die Verhandlungen zum gegeben Zeitpunkt gut aufgenommen werden. Zudem hat der Prozess eine Basis des Dialogs gelegt und Vertrauen zwischen den betroffenen Parteien geschaffen. Eine essentielle Voraussetzung für die L?sung solch einer Aufgabe von nationaler Bedeutung.

Michael Ambühl hat diesen Beitrag zusammen mit Tobias Langenegger verfasst.

Weiterführende Informationen

Medienmitteilung externe Seite BFE

Zu den Autoren

Michael Ambühl

Michael Ambühl

Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement,

ETH Zürich

Weitere Informationen zur Person

 

 

Tobias Langenegger

Tobias Langenegger

Doktorand an der Professur für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement,

ETH Zürich

Weitere Informationen zur Person

Zukunftsblog reloaded

Seit 2013 schreiben ETH-Expertinnen und Experten im Zukunftsblog zum Thema Nachhaltigkeit. Nun ?ffnet sich die Meinungsplattform für weitere Schwerpunktthemen der Hochschule: Ab Januar 2018 bloggen ETH-Fachleute neu in den Rubriken Digitalisierung und Gesundheit. Das Thema Nachhaltigkeit bleibt als dritte Rubrik bestehen.