Förderband aus Meereis versüsst Südpolarmeer

Das Meereis rund um die Antarktis treibt in den vergangenen Jahrzehnten verst?rkt nach Norden. Damit einhergegangen ist eine Ausdehnung des Meereises und eine Abnahme des Salzgehalts des Meerwassers an der Eisgrenze – mit noch unerforschten Folgen für das globale Klima und die antarktischen ?kosysteme.

Meereis
Das antarktische Meereis bedeckt eine Fl?che von der Gr?sse Nordamerikas. (Grafik: NASA)

Langj?hrige Messungen des Salzgehaltes im Südpolarmeer zeigen, dass dieser w?hrend den letzten Jahrzehnten abgenommen hat. So stark wie in diesem Ozean hat sich der Salzgehalt in keinem anderen Meer ver?ndert. Eine vollst?ndige Erkl?rung dafür hatte die Forschung bislang nicht.

In einer soeben in der Fachzeitschrift ?Nature? erschienenen Studie zeigen nun Ozeanforscher der ETH Zürich, des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der Universit?t Hamburg den Grund für diese ?Versüssung? (engl. freshening) des Südpolarmeeres auf.

In ihrer Studie weisen die Wissenschaftler zum ersten Mal nach, dass die verst?rkte Bildung von Meereis entlang der Küste der Antarktis und dessen Abschmelzen an der Meereiskante hauptverantwortlich sind für die Ver?nderungen des Salzgehalts und der Salzverteilung im Südpolarmeer.

Das Antarktische Eis wandert

Es scheint paradox: W?hrend in der Arktis das Meereis rapide schrumpft, dehnt es sich rund um die Antarktis trotz Klimaerw?rmung st?rker aus. Seit mehreren Jahrzehnten beobachten Forschende, dass die maximale Eisbedeckung des Südpolarmeeres weiter nach Norden reicht als noch vor 30 Jahren. Ein Hauptgrund für diese Ausdehnung ist ein verst?rkter Transport, der das Meereis wie auf einem F?rderband weiter nach Norden treibt. Nun zeigen die Forscher, dass dieser Prozess auch Folgen für den Salzgehalt des Meerwassers hat: Das Antarktische Meereis bildet sich und schmilzt jedes Jahr von neuem. Auf dem H?chststand bedeckt es eine Fl?che von 18 Mio. km? – das entspricht der Gr?sse der USA und Kanadas. Beim Gefrieren f?llt Salz aus und bleibt im Meer zurück. Dies macht das Wasser salziger. Beim Schmelzen des Eises gelangt Süsswasser in den Ozean, sodass sich dessen Salzgehalt verringert.

Das Eis bildet sich mehrheitlich in Küstenn?he. Starke Winde und Meeresstr?mungen treiben das Eis dann mehr als 1000 Kilometer weit nach Norden auf das offene Meer hinaus. Die n?rdliche Meereiskante liegt ungef?hr bei 60 Grad südlicher Breite. Dort beginnt das Eis im Frühjahr zu schmelzen und setzt so auf dem offenen Meer Süsswasser frei.

Kaltes Schmelzwasser wird Zwischenwasser

Das nun in den Ozean einstr?mende kalte Schmelzwasser kühlt das Meerwasser ab und macht es gleichzeitig süsser. Diese Wassermassen sinken dann unter Anschub der Winde und anderer Faktoren unter das w?rmere Oberfl?chenwasser ab und bilden das sogenannte Antarktische Zwischenwasser, eine Wassermasse mit vergleichsweise tiefem Salzgehalt. Diese liegt auf rund 600 m bis 1500 m Tiefe und dehnt sich zungenf?rmig nach Norden aus. Die Zungenspitze reicht bis zum ?quator und im Ostatlantik sogar bis zur Iberischen Küste.

?Unsere Arbeit zeigt auf, dass sich der tiefe Salzgehalt im Antarktischen Zwischenwasser zu einem grossen Teil durch das Schmelzwasser vom Meereis erkl?ren l?sst?, sagt Matthias Münnich, Dozent für physikalische Ozeanographie an der ETH Zürich, der massgeblich an der Studie beteiligt war.

Süsswassereintrag markant gestiegen

?Dieser Süsswassereintrag in das Antarktische Zwischenwasser durch das Meereis, aber auch derjenige in die Oberfl?chengew?sser, hat in den vergangenen Jahrzehnten markant zugenommen. Diese Prozesse konnten wir zum ersten Mal absch?tzen. Grund dafür sind vermutlich verst?rkte nordw?rts wehende Winde in diesem Zeitraum?, sagt der Erstautor der Studie, Alexander Haumann, Doktorand in der Gruppe für Umweltphysik der ETH Zürich.

Der Süsswassertransport durch das Meereis hat gem?ss den Berechnungen des Forschers und seiner Kollegen zwischen 1982 und 2008 um bis zu 20 Prozent zugenommen. In dieser Zeit hat der Salzgehalt des Meerwassers in der Schmelzzone kontinuierlich abgenommen, und zwar alle zehn Jahre um bis zu 0,02 Gramm pro Kilogramm Meerwasser. ?Diese Zahl deckt sich mit langj?hrigen Messdaten?, sagt Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik der ETH Zürich.

Vergr?sserte Ansicht: Die Meereiskante in der Ross-See.  
Die Meereiskante in der Ross-See.  

?Die Forschung hat schon lange beobachtet, dass der Salzgehalt des Antarktischen Zwischenwassers stark zurückgeht?, erkl?rt er. Die Wissenschaftler nahmen jedoch an, dass dies auf verst?rkten Niederschlag über dem Südpolarmeer zurückzuführen ist. ?Allerdings waren die Ver?nderungen im Niederschlag, die man mit Computermodellen rekonstruiert hat, viel zu klein, um die beobachteten Ver?nderungen im Salzgehalt erkl?ren zu k?nnen.? Der ETH-Professor ist sich deshalb sicher: ?Es ist der verst?rkte nordw?rts Transport von Süsswasser durch das Meereis, der für einen grossen Teil dieser Ver?nderung verantwortlich ist.?

Einschnitt ins globale Klima

Das Meereis beeinflusst jedoch nicht nur den Salzgehalt des Wassers, sondern auch dessen Schichtung. Wasser mit geringem Salzgehalt ist leichter als solches mit hohem Salzgehalt und schwimmt oben. Wenn also die Oberfl?chengew?sser ?süsser? und damit leichter werden, kann schwereres salzhaltiges Wasser aus der Tiefe weniger gut nach oben gelangen. Die Schichtung der Wassermassen wird insgesamt stabiler. Dies wiederum beeinflusst wie und ob die unterschiedlichen Wassermassen untereinander und mit der Atmosph?re Klimagase wie CO? und W?rme austauschen. ?Durch eine stabilere Schichtung k?nnte das Südpolarmeer theoretisch mehr Kohlenstoffdioxid aufnehmen, weil CO?-reiches Tiefenwasser nicht mehr an die Oberfl?che gelangt, wo es das CO? abgibt?, sagt Gruber. Bei der W?rme w?re es gerade umgekehrt. Ein stabiler geschichteter Ozean würde weniger W?rme aufnehmen.

Lange Zeit nahmen die Forscher an, dass der Austausch von W?rme und Kohlendioxid haupts?chlich durch Ver?nderungen in den starken Winden dieser Region gesteuert wird. Die Studie von Grubers Gruppe zeigt nun, dass das System viel komplizierter ist. Ver?nderungen des Meereises rund um die Antarktis k?nnten darin eine wesentlich gr?ssere Rolle spielen als bisher angenommen.

?Bis jetzt haben wir dem Meereis in der Arktis viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt, da es dramatisch abnimmt. Die Ver?nderungen in der Antarktis k?nnten aber auf lange Sicht wesentlich bedeutender für unser Klima sein, da sie den W?rme- und Kohlenstoffhaushalt der Erde wesentlich beeinflussen?, sagt Haumann.

Unklar ist, ob sich die nordw?rts gerichteten Winde aufgrund des menschgemachten Klimawandels verst?rkt haben oder ob es sich um natürliche Schwankungen handelt. ?Wenn diese Ver?nderungen wirklich menschgemacht w?ren, w?re das eine dramatische Folge des menschlichen Einflusses für das Klima- und ?kosystem in einem der entferntesten und vermutlich bis heute am wenigsten berührten Winkel unserer Erde.?

Das Südpolarmeer wirkte bisher als Klimaregulator und Kohlenstoffsenke: Klimamodelle zeigen, dass dieser Ozean rund drei Viertel der zus?tzlichen W?rme aufgenommen hat. Auch hat das Südpolarmeer die H?lfte der von den Weltmeeren aufgenommenen CO? -Gesamtmenge geschluckt.

Schweizerische Polarforschung

Gemeinsam mit der EPFL, der Eidgen?ssischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und der Universit?t Bern hat die ETH Zürich im April 2016 das Swiss Polar Institute (SPI) gegründet. Das Konsortium will die Polregionen und andere extreme Lebensr?ume erforschen. Das erste Projekt des SPI ist ehrgeizig: Eine internationale externe Seite Expedition mit 55 Forschenden aus 30 L?ndern wird Ende Dezember 2016 die Antarktis auf einer mehrmonatigen Cruise ganz umrunden. Mit dabei ist der Klimaforscher Alexander Haumann aus der Gruppe von ETH-Professor Nicolas Gruber. Ziel der Expedition ist es, den Einfluss des Klimawandels und die Umweltbelastung des Südpolarmeeres zu erfassen und zu quantifizieren.

Pancake Ice
Der Seegang formt aus Eisschlamm das Teller- oder Pfannkucheneis (engl. Pancake Ice). Weil die Schollen zusammenstossen, bildet sich an deren R?ndern ein Wulst.

Literaturhinweis

Haumann FA, Gruber N, Münnich M, Frenger I, Kern S. Sea-ice transport driving Southern Ocean salinity and its recent trends. Nature, 31. August 2016. DOI: externe Seite 10.1038/nature19101

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