Eine unwahrscheinliche Anziehung

Gleiche Ladungen stossen sich normalerweise ab. Nicht so an der Grenzfl?che zwischen Luft und Wasser. Hier haben ETH-Forscher bei Nanopartikeln ein ungew?hnliches Ph?nomen beobachtet und eine Erkl?rung dafür gefunden.

Vergr?sserte Ansicht: Wasserpistole
Die Forschenden untersuchten das Ph?nomen bei einem Strahl ganz ?hnlich, wie er mit einer Wasserpistole entsteht (Symbolbild). Bloss war der untersuchte Strahl sehr viel dünner. (Bild: Imgorthand / iStockphoto)

Die Grenzfl?che zwischen Luft und Wasser ist negativ geladen. Im Wasser gel?ste, negativ geladene Nanoteilchen sollten deshalb von der Wasseroberfl?che abgestossen werden. Doch Forscher der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts (PSI) beobachteten genau das Gegenteil: Je gr?sser die negative Ladung der Nanoteilchen war, umso n?her befanden sie sich an der Grenzfl?che. ?Für unsere Experimente haben wir eine Wasserpistole benutzt, wie man sie als Spielzeug kennt?, erkl?rt Gruppenleiter Matthew Brown vom ETH-Departement für Materialwissenschaften. ?Allerdings ist der Durchmesser unserer Pistole weniger als ein Haar breit.? Und um zu untersuchen, was an der Strahloberfl?che passiert, verwendeten die Forscher eine Grossanlage, die ?Synchrotron Lichtquelle Schweiz? (SLS) am PSI in Villigen, die besonders intensives R?ntgenlicht erzeugt.

In ihren Experimenten mischen die Forscher dem Wasser Siliciumdioxid-Nanoteilchen bei. Eine Pumpe bef?rdert die Flüssigkeit zur Düse, durch die der nur wenige Mikrometer breite Strahl austritt. Die Versuchsanordnung wird am Synchrotron in Villigen in einer Messkammer installiert, die unter Vakuum steht. Die Flüssigkeit muss mit grosser Geschwindigkeit aus der Düse spritzen. ?Nur so haben wir einen durchgehenden, frei fliessenden Wasserstrahl?,  sagt der Materialwissenschaftler. ?Denn wenn der Wasserstrahl stoppt, gefriert er sofort.? Die Schwierigkeit ist denn auch, diesen Mikrojet stabil zu halten. Treffen R?ntgenstrahlen darauf, schlagen sie Elektronen aus der Strahloberfl?che, die Rückschlüsse auf das Material erlauben. ?Einmal an diesem Punkt angelangt, ist unser Versuch ein normales Festk?rperphysik-Experiment?, erkl?rt Matthew Brown.

Internationales Team

Mit Hilfe der R?ntgenphotoelektronenspektroskopie gelang es den Forschern, die Verteilung der Nanopartikel auf der Grenzfl?che zwischen Luft und Wasser zu bestimmen. Auf der Skala von nur wenigen Atomradien konnten sie kleine Unterschiede in der Nanopartikelverteilung an der Grenzfl?che erfassen, welche sie auf Ladungsunterschiede der Nanopartikel zurückführen konnten. ?Wir sind bisher die einzige Gruppe, der dies gelungen ist?, sagt Matthew Brown, insofern sei dies ein einzigartiges Experiment. Wie gross das Interesse der Fachwelt an dieser Arbeit ist, merkte der ETH-Forscher, als er nach Theoretikern suchte, welche die gemessenen Daten interpretieren sollten. Kollegen in Schweden, den USA und Kanada seien begeistert gewesen über die Messresultate und h?tten ihre Beteiligung am Projekt sofort zugesagt, erz?hlt Matthew Brown.

Und wie l?sst sich die unwahrscheinliche Anziehung zwischen negativ geladenen Nanoteilchen und negativ geladener Grenzfl?che erkl?ren? ?Das ist kompliziert, aber gleichzeitig v?llig logisch?, sagt der Gruppenleiter. Die Nanopartikel haben ein starkes elektrisches Feld, das eine komplexe Umverteilung von Wasserionen ausl?st, so dass die Ladung am ?bergang von Luft und Wasser von negativ zu positiv umschl?gt. Das elektrische Potential eines Teilchens k?nne ein halbes Volt betragen, erg?nzt Matthew Brown: ?Das ist sehr, sehr viel.? Damit k?nne das Teilchen die Struktur einer Grenzfl?che mühelos ver?ndern.

Vielf?ltige Anwendungen

Der ?bergang von Luft zu Wasser ist die gr?sste Grenzfl?che auf der Erde. Die Forscher hoffen deshalb, dass ihre Ergebnisse weitere grundlegende Erkenntnisse erm?glichen. Ihre Resultate treffen aber auch für Grenzfl?chen zwischen ?l und Wasser zu oder lassen sich auf Blasen in Emulsionen anwenden, wie sie zum Beispiel in Kosmetikprodukten, Yoghurt oder Farbstoffen auftreten. Dabei stabilisieren jeweils bestimmte Partikel die Luft in der Flüssigkeit. ?Uns interessieren die Grundlagen dieses Prozesses?, erkl?rt Matthew Brown: ?Was treibt die Teilchen an die Grenzfl?che, und was h?lt sie dort?? Aufgrund dieser Kenntnisse lassen sich dereinst vielleicht mit massgeschneiderten Teilchen bestimmte Materialeigenschaften auf mikroskopischer Ebene bestimmen.

Mit ihrer neu entwickelten Messmethode wollen die Forscher jetzt sogar eine physikalische Gr?sse bestimmen, die laut Lehrbuch bisher nicht messbar war: das elektrische Oberfl?chenpotential eines Teilchens in einer Flüssigkeit. Bis anhin musste man ein Partikel für diese Messung trocknen. ?Nun k?nnen wir es in seiner natürlichen Umgebung untersuchen?, sagt Matthew Brown. Davon versprechen sich die Forscher unter anderem Anwendungen in der Medizin, wenn an Nanopartikel gebundene Wirkstoffe injiziert werden sollen. ?Im K?rper befinden sich die Partikel in einer Flüssigkeit?, erkl?rt der Materialwissenschaftler, ?da m?chte man die Struktur des gel?sten Teilchens kennen.? Strukturkenntnisse von Nanopartikeln k?nnten aber auch bei der Energiespeicherung, der Entsalzung von Meerwasser oder der Reinigung von Grundwasser helfen.

Literaturhinweis

Beloqui Redondo A, Jordan I, Ziazadeh I, Kleibert A, Giorgi JB, W?rner HJ, May S, Abbas Z, Brown MA: Nanoparticle-Induced Charge Redistribution of the Air-Water Interface, Journal of Physical Chemistry C 2015, 119: 2661-2668, doi: externe Seite 10.1021/jp511915b

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