Städte als Rohstoffminen der Zukunft

In der Stadt der Zukunft wird die Entsorgung zur Versorgung – dieser These gehen wir seit einiger Zeit an unserem Lehrstuhl für Architektur und Konstruktion am Future Cities Laboratory in Singapur und Zürich nach. Wir haben so ein weites Feld entdeckt, das alternative Perspektiven für unsere Disziplin er?ffnet.

Städte als Rohstoffminen

Müll ist in unserer Gesellschaft seit Jahrhunderten ein Material, das weder als Rohstoff noch als Produkt gesehen wird, sondern als etwas, das wir schnellst m?glich verbrennen oder vergraben m?chten. Müll ist sozusagen ein Nebenprodukt, das wir nicht kategorisieren k?nnen in unser dialektisches Verst?ndnis von ?roh? oder ?verarbeitet?. Aber ich glaube, es ist Zeit, Müll als immens wertvolle und absolut notwendige Ressourcen zu begreifen: als Ausgangspunkt neuer Produkte und Artefakte. Dieses metabolische oder kreisf?rmige Denken ist an und für sich nicht neu, aber es beginnt gerade erst, sich im Bausektor im grossen Massstab durchzusetzen. So berichtete die Internetplattform ?nachhaltigleben.ch? erst kürzlich, dass in der Schweiz bereits heute schon 10 Prozent der natürlichen Zuschl?ge in Betonmischungen durch rezyklierten Bauschutt ersetzt werden, Tendenz stark steigend [1].

St?dte liefern wertvolle Rohstoffe

Das Fachgebiet, welches sich solchen Fragen widmet, heisst ?Urban Mining? – eine noch junge Disziplin, die die Stadt als einheitliches System begreift und Müll lediglich als ?bergangszustand sieht, aus dem wieder Neues entstehen kann. Dies bedeutet, dass zukünftige Baumaterialien nicht mehr einem ?natürlichen? Umfeld entspringen müssen, sondern vielmehr in ?kultivierten? Minen zu finden sind. Natürliche Ressourcen zur Herstellung von Baumaterialien werden immer knapper (zum Beispiel Kies zur Herstellung von Beton), jedoch haben sich diese Materialien über Jahrhunderte in unseren St?dten angesammelt bzw. aufgetürmt. Man kann schon heute davon ausgehen, dass sich mehr Kupfer in unseren Bauwerken befindet als in unserer Erdkruste. Die Stadt Zürich gewinnt jedes Jahr 10 Kilogramm Gold aus Abfall im Gegenwert von einer halben Million Franken, und 99 Prozent aller Metalle werden in der Schweiz wiedergewonnen. W?hrend sich unsere traditionellen Minen langsam ersch?pfen, werden unsere St?dte die neuen Minen der Zukunft. St?dte sind demnach Verbraucher und Lieferanten von Ressourcen in einem und benutzen sich selbst zur eigenen Reproduktion.

Mehrere Lebenszyklen vorbestimmt

Kacheln aus Bauschutt
Tom van Soest mahlt Bauschutt und kreiert daraus neue Produkte für den Bausektor. (Bild: Tom van Soest)

So benutzt Tom van Soest [2] aus den Niederlanden gemahlenen Bauschutt, um neue Belagsmaterialien und Kacheln herzustellen. Andere Hersteller besch?ftigen sich mit Bausteinen aus Plastik oder gepressten Papieren oder verarbeiten organische Abf?lle zu tragf?higen Bauplatten. Wiederum andere gehen der Frage nach, wie man Produkte so entwerfen kann, dass ein zweiter Lebenszyklus als Baumaterial schon gleich mit eingebaut ist. Bereits 1963 entwarf Alfred Heineken, der Eigner der gleichnamigen Bierbrauerei, gemeinsam mit dem Architekten John Habraken die sogenannte World Bottle, eine vierkantige Version des runden Basismodells einer Bierflasche, die sich liegend vermauern l?sst. Leider hat die Idee nie die Marktreife erreicht, da man Angst hatte, dass Verbraucher keine eckigen Bierflaschen kaufen würden. ?hnlich ist das Projekt ?United Bottle? [3] konzipiert. Die Plastikflaschen lassen sich ineinanderschieben und brauchen nicht einmal mehr M?rtel um einen tragf?higen ?Mauerverband? zu bilden. Doch auch hier reagiert die Industrie aus markttechnischen Gründen bislang zurückhaltend.

Vergr?sserte Ansicht: Flaschenhaus
Die ?United Bottle? kann nach der Wasserflasche als Baustein dienen, aus dem sich tragende Systeme ohne Klebstoff errichten lassen. (Bild: United Bottle Group)

Beton mit bakteriellen Selbstheilungskr?ften

Das Feld l?sst sich noch erweitern, wenn man Müll umfassender definiert als das, was im Abfalleimer landet: Unter Müll k?nnen wir alles verstehen, was für uns im ersten Moment wertlos, überflüssig oder ekelerregend erscheint. Dazu geh?ren auch biologische Stoffe wie Bakterien oder Pilze. Der Mikrobiologe Henk Jonkers von der niederl?ndischen Universit?t Delft hat ein Verfahren entwickelt, bei dem man einem Betongemisch vor dessen Verarbeitung Bakterien und N?hrstoffe zufügt. Wenn sich nun im Laufe der Zeit Risse im Beton bilden und Wasser und Luft eindringen, erwachen die eingeschleusten Bakterien aus ihrem Dornr?schenschlaf und verarbeiten die N?hrstoffe zu Kalziumkarbonat. Dieses wiederum verschliesst innert Tagen kleine Risse: ein selbstheilendes System [4].

Pilz liefert Baumaterial

Vergr?sserte Ansicht: Baumaterial aus Pilz
Mit Pilzen Stoffe produzieren, die konventionellen Baumaterialien teils überlegen sind. (Bild: Ecovative)

Die New Yorker Firma Ecovative stellt schon seit Jahren Produkte her, die sie einfach mit Hilfe von Pilzen wachsen l?sst. Das Mycelium, also das Wurzelgeflecht der Pilze, ist dabei von Interesse. Stoppt man den Wachstumsprozess durch Entzug von Licht und W?rme, bildet sich ein extrem belastbares Material, das zu Steinen oder Platten verarbeitet werden und es in Hinblick auf Druckfestigkeit durchaus mit Beton aufnehmen kann. Dass dieses Material als Baustoff taugt, wird man im Sommer diesen Jahres im PS1, dem Aussenableger des MoMA, bewundern k?nnen, wo Ecovative zusammen mit den Architekten ?The Living? ein grosses Bauwerk [6] aus drei ineinander verschlungenen Türmen errichten werden.

Weiterführende Informationen

[1] Artikel über Urban mining auf externe Seite nachhaltigleben.ch

[2] Baumaterialien aus Bauschutt von externe Seite Tom van Soest

[3] Die Hausbau-Flasche der externe Seite United Bottle Group

[4] Artikel über selbstreparierenden Beton auf externe Seite 3sat.de

[5] Aus Pilz gewachsene Baumaterialien von externe Seite Ecovative

[6] Ausstellung im Moma-externe Seite PS1

Zum Autor

?hnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert