Vitamin als Jungbrunnen

Das Vitamin Niacin wirkt lebensverlängernd, hat Michael Ristow bei Fadenwürmern gezeigt. Der ETH-Professor schliesst aus seiner Studie zudem, dass freie Radikale gesund sind. Damit widerspricht er der Ansicht vieler Wissenschaftskollegen.

Vergr?sserte Ansicht: fadenwurm
Die winzigen Fadenwürmer leben l?nger mit Niacin. (Bild: Michael Ristow / ETH Zürich)

Wer m?chte das nicht: lange und gesund leben? Eine bekannte Substanz k?nnte dabei helfen, wie ETH-Wissenschaftler bei Fadenwürmern gezeigt haben. Vitamin B3 – auch bekannt als Niacin – sowie sein Stoffwechselprodukt Nikotinamid in der Nahrung führte dazu, dass die Würmer um rund ein Zehntel l?nger lebten.

Wie ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Michael Ristow, Professor für Energiestoffwechsel, in verschiedenen anderen Experimenten zeigen konnten, wirkten Niacin und sein Stoffwechselprodukt Nikotinamid über eine Reihe weiterer Stoffwechselprodukte: Wird Nikotinamid vom Stoffwechsel umgebaut, entstehen über mehrere Schritte sogenannte freie Radikale. ?Diese freien Radikale führen bei den Fadenwürmern zur Lebensverl?ngerung?, sagt Ristow.

?Keine Evidenz für Wirkung von Antioxidantien?

Dies mag erstaunen, denn freie Radikale gelten landl?ufig als ungesund. Mit seiner Ansicht widerspricht Ristow denn auch der Lehrbuchmeinung, wie sie viele andere Wissenschaftler vertreten. Es ist bekannt, dass freie Radikale K?rperzellen sch?digen k?nnen, ein Zustand, der als oxidativer Stress bezeichnet wird. Bestimmte Substanzen, sogenannte Antioxidantien, die auch in Früchten, Gemüse und gewissen Pflanzen?len enthalten sind, k?nnen diese freien Radikale neutralisieren. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler sind Antioxidantien gesundheitsf?rdernd.

?Dafür, dass die Einnahme von Antioxidantien insbesondere in Tablettenform gesund w?re, gibt es allerdings keinerlei überzeugende wissenschaftliche Evidenz?, sagt Ristow. Es stehe ausser Frage, dass Früchte und Gemüse gesund seien. Das liege aber an anderen Pflanzeninhaltsstoffen wie den Polyphenolen. ?Obst und Gemüse sind gesund, obwohl sie Antioxidantien enthalten?, sagt der ETH-Professor. Er ist vielmehr davon überzeugt, dass geringe Mengen an freien Radikalen und der durch sie ausgel?ste oxidative Stress gesundheitsf?rdernd wirken. ?K?rperzellen k?nnen gut mit oxidativem Stress umgehen und ihn wieder abbauen?, sagt Ristow.

Substanz imitiert Ausdauersport

In früheren Studien bei Menschen zeigte Ristow, dass die gesundheitsf?rdernde Wirkung von Ausdauersport über eine gesteigerte Bildung von freien Radikalen vermittelt wird – und dass Antioxidantien diesen Effekt aufheben. Aus der jetzigen Studie schliesst er, dass Niacin einen ?hnlichen Stoffwechselzustand wie bei Sport herbeiführt. ?Niacin l?sst den K?rper glauben, er würde Sport betreiben – ohne dass dies wirklich der Fall ist?, sagt Ristow. Die Wirkung von Sport imitierende Substanzen werden auf Englisch als ?exercise mimetics? bezeichnet.

Die Forschenden machten ihre Experimente im Modellorganismus Caenorhabditis elegans. Dieser nur ein Millimeter kleine Fadenwurm ist einfach zu züchten und hat eine Lebensdauer von nur einem Monat, weshalb er in der biomedizinischen Forschung für Alterungsexperimente sehr beliebt ist.

Relevant auch für den Menschen

Die Ergebnisse der Studie k?nnten auch für den Menschen relevant sein, sagt Ristow. Denn der Stoffwechselweg um Niacin ist bei Fadenwürmern und h?heren Lebewesen sehr ?hnlich. Ob Niacin ?hnliche Wirkungen auf die Lebenserwartung von M?usen hat, ist Gegenstand von Ristows derzeitiger Forschung. Frühere Studien legen einen gesundheitsf?rdernden Effekt von Niacin auch bei Menschen nahe: Die Substanz senkt erh?hte Blutfettspiegel.

Niacin und Nikotinamid sind seit vielen Jahren als Nahrungserg?nzungsmittel zugelassen. Ristow k?nnte sich gut vorstellen, dass die Substanzen in Zukunft breit zum therapeutischen Einsatz kommen. Eine ganze Reihe an Nahrungsmitteln enthalten natürlicherweise Niacin: Es ist unter anderem in Fleisch, Leber, Fisch, Erdnüssen, Pilzen, Reis und Weizenkleie enthalten. Ob die Menge, die man über die Nahrung aufnehmen kann, allerdings für einen gesundheitsf?rdernden oder lebensverl?ngernden Effekt ausreicht, ist laut Ristow noch zu beweisen.

Umstrittene Wirkung von Enzymen

Hintergrund der jüngsten Studie zu den Wirkungen von Niacin und Nikotinamid ist eine bestimmte Klasse von Enzymen, die Sirtuine. Diese Enzyme wandeln Niacin in Nikotinamid um. Ausserdem sind sie in der Regulation von Genen beteiligt: Sie tragen dazu bei, die Aktivit?t bestimmter Gene zu drosseln. Unter Wissenschaftlern war bisher umstritten, ob Sirtuine lebensverl?ngernd wirken.

Die Arbeit von Ristow und seinen Kollegen legt nun nahe, dass die Aktivit?t von Sirtuinen bei Fadenwürmern tats?chlich das Leben verl?ngert. Allerdings ist die lebensverl?ngernde Wirkung laut der Studie nicht auf die Genregulation zurückzuführen, wie es in der Vergangenheit oft vermutet wurde. Vielmehr hat die Wirkung mit der Umwandlung von Niacin in Nikotinamid zu tun. Bei gentechnisch ver?nderten Fadenwürmern, die nicht f?hig waren, Nikotinamid in bestimmte weitere Stoffwechselprodukte umzuwandeln, beobachteten die Wissenschaftler kein verl?ngertes Leben, auch nicht nach Aktivierung von Sirtuinen, die ansonsten zu einer gesteigerten Lebenserwartung führt.

Literaturhinweis

Schmeisser K et al.: Role of Sirtuins in Lifespan Regulation is Linked to Methylation of Nicotinamide. Nature Chemical Biology, 2013, Online-Vorabver?ffentlichung, doi: externe Seite 10.1038/nchembio.1352

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